Ryan O’Reilly, Köln, die Wohngemeinschaft, 18.01.2024 „Songpoeten in der WG“

Wieder einmal ein besonderes Musikereignis in der Kölner Wohngemeinschaft! Denn Singer/Songwriter Ryan O’Reilly präsentiert sein neues Programm. O´Reilly hat irische Wurzeln, wuchs in Südengland (Winchester) auf und ging dann in jungen Jahren bereits nach East London, wo er als Straßenmusiker auftrat. Er veröffentlicht seit 2003 seine Musik und hat eine Vielzahl beeindruckender Alben produziert (zum Einstieg empfohlen: „The Northern Line“ (2016) oder „Live at St. Pancras Old Church“ von 2012). Seine Musik reicht von Americana bis Irish Folk mit Rockelementen. Sie ist geprägt von seiner weichen fragilen Stimme und seinen beeindruckenden Texten. Derzeit tourt er mit seinem jüngsten Album „Other Plans“ (2022) durch Europa und die Welt. Ryan wird heute von zwei weiteren Musikern begleitet. Am Bass spielt heute sein alter Kumpel Tali Trow, den er seit seiner Straßenmusiker-Zeit auf der Portobello Road in London kennt. Auch Tali ist seit Jahrzehnten Vollblutmusiker. Er hat laut Bandcamp in einem Chor für den Pabst gesungen und mit den Rolling Stones auf der Bühne gestanden. Auch er hat eine Vielzahl eigener Aufnahmen veröffentlicht. An der E-Gitarre ist heute Andrea Vitozzi aktiv, ein ausgebildeter Jazz-Musiker aus Neapel, der seit 2023 zusammen mit Ryan O’Reilly auf der Bühne steht. Er wird also spannend, welchen Sound O’Reillys Songs heute bekommen werden.

Sie starten in den Abend mit „Evil Quarter Mile“ vom Album „The Northern Line“, einem Stück über eine gescheiterte Beziehung, in dem er all die Wut und Verzweiflung („You watered every bruise with tears, flooded through the happy years“) mit poetischen Phrasen verarbeitet. Das Stück soll er übrigens geschrieben haben, als er nebenbei bei der „Jack the Ripper“-Tour in Whitechapel, London gearbeitet hat, was den Titel erklärt. Andrea Vitozzi gibt dem Stück mit einem jazzigen Gitarrensolo ein schönes Intermezzo. Ein sehr gelungener Start in die Show. Es folgen zwei weitere Stücke vom Album „The Northern Line“ mit „The first Time“ und „The One“. Es geht wieder um Liebe, Beziehungen und ihr Scheitern, wobei der Hörer durch die melodischen Songs und die gängigen Refrains mitgenommen wird. Dann covert er „The River“ von Bruce Springsteen. Für mich ist die Auswahl eines Coversongs immer wichtig, weil es viel über den covernden Musiker selbst erzählt. Mich überzeugt seine Version sehr, weil er sie schon gesanglich zu seiner eigenen macht. Irgendwann kommt er dann zu „Other Plans“, dem Titelstück seines neuen Albums. Er erzählt etwas zum Hintergrund des Stücks, das sich mit den seelischen und psychischen Erkrankungen befasst, die gerade in der Pandemiezeit eine besondere Problematik erfahren haben. Für mich ist das Stück eines der Highlights der Show. Ryan wohnt gerade in Berlin. Mit „Wenn du mich lässt“ hat er vor kurzem ein Stück in deutscher Sprache veröffentlicht, das er gegen Ende der Show noch mit heftigem Akzent präsentiert. Zum Schluss kommt dann noch ein weiterer Höhepunkt mit „November“ von „The Northern Line“, wobei Ryan und Tali die Straßen-Version (ohne Mikrophone) spielen. Mir fällt auf, wie gut die beiden stimmlich harmonieren. Wenn es dann im Stück weiter heißt „But you’ll never change the world with your songs or your guitar“, dann mag das stimmen. Seine Songs haben die Welt aber definitiv bereichert und mich heute Abend bestens unterhalten. Mit diesen Gedanken mache ich mich durch den Kölner Schnee auf den Rückweg.

 

Thomas Höhner